Der Verlag im Zeitalter seiner wirtschaftlichen Zwecklosigkeit

Vor kurzem habe ich mein Buch „Vernunft der wirtschaftlichen Kritik. Die wirtschaftsphilosophische Wende.“ auf meine Homepage gratis zum Herunterladen gestellt. Was bringt einen Autor dazu, ein Werk kostenlos zur Verfügung zu stellen? Eines kann ich gleich sagen: Leicht ist mir die Entscheidung nicht gefallen. Warum ich trotzdem denke, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, möchte ich in folgenden Zeilen erklären.

Es war im Buch Bücher und Büchermacher, in welchem ich auf eine Grafik stieß, die mich erstaunen ließ. Die Grafik auf Seite 174 zeigte die klassische Verlagsstruktur, vom Autor bis zum Leser. Dazwischen war ein kompliziertes Netz, das das Zusammenspiel von Verlagsvertretern, Druckereien, Vertriebswegen, Bibliotheken und Buchhandlungen darstellte. Um das ganze Chaos rundherum führte eine einzelne Linie, die vom Autor direkt zum Leser mit nur einem Zwischenstopp führte. Dieser Zwischenstopp wurde betitelt mit den magischen Worten „Publishing-on-demand/E-Book“. Das regte mich zum Nachdenken an. Kann das ganze komplizierte Verlagsnetz einfach so umgangen werden? Müssen nicht klassische Verlage, die diese Grafik sehen, auch aufschrecken? Ein einfaches Verfahren, das die komplette Arbeit eines Verlages zwecklos macht, oder zumindest umkrempelt?
Dann kam ich auf den Artikel eines Autors, der sämtliche seiner Bücher gratis ins Internet stellt. Cory Doctorow ist ein Verfechter dieser Strategie und meint, jeder, der das ausprobiert kommt nicht mehr davon weg. Er erzählt von einem Schiff der US-Army, auf dem sein Werk heruntergeladen worden war. Da den Soldaten recht langweilig war, verbreitete sich dieses Buch auf dem gesamten Schiff. Und obwohl Doctorow Science-Fiction schreibt, hatte er von dem Zeitpunkt an ein ganzes US-Schiff voll Soldaten als Leserschaft, was sich auch positiv auf seine Verkaufszahlen auswirkte.
Mein Interesse war sofort geweckt.

Das Internet verändert unsere Welt und besonders die wirtschaftliche. Die Musikverwertungsindustrie bekam das als eine der ersten zu spüren. Die Erfindung der mp3 und der peer-to-peer-Tauschbörsen à la Napster schienen eine ganze Industrie auf einen Abgrund hinzuführen. Als nächstes kam die Filmindustrie und daran anschließend auch das Fernsehen und der DVD-Handel und -Verleih unter die Räder. Mit dem immer schneller werdenden Internet wurde es möglich, ganze Filme sofort weltweit verfügbar zu machen, zu einem Minimum der Kosten. All dies war möglich, weil das Internet zu einer internationalen Kopiermaschine geworden ist.
Kevin Kelly, einer der Internetpioniere, vergleicht das Internet mit einem Supraverteiler. Kopien können über das Netz beinahe ohne Widerstand immer weiter fließen, wie elektrischer Strom in einem Supraleiter. Alles, was mit dem WWW in Berührung kommt, wird kopiert und rast um die Welt.
So wurde endlich auch die Buchindustrie von dieser Kopiermaschine erfasst. Amazon verwandelte sich zu einer der größten Buchhandlungen der Welt, zum Nachteil aller anderen, die auf den Verkauf von Büchern spezialisiert waren. Die Buchindustrie hatte allerdings bisher ein Glück: Es ist mühsam, über einen Bildschirm länger zu lesen. So blieb uns der verzweifelte Kampf einer Industrie, die ihrer wirtschaftlichen Zwecklosigkeit entgegengeht (wie wir das bei der Musikverwertungsindustrie beobachten konnten), bisher erspart. Die Frage ist nur: Wie lange noch?
Und die weitere Frage ist natürlich für jeden Verlag: Wie kann man noch Geld verdienen? Welche Tätigkeiten rechtfertigen noch die Existenz meines Unternehmens?
Denn das Problem von neuen Technologien ist oft, dass sie den Produzenten nicht unbedingt einen Vorteil bringen, wenn sie sie verwenden. Wenn sie sie jedoch nicht verwenden, sind sie schnell weg vom Fenster.

Warum wird das in der Verlagswelt ebenso passieren? Was für Gesetze regieren die Internetwelt und wie kann man mit ihnen umgehen?
Erstens fällt mir da wieder oben erwähnter Kevin Kelly ein. Im Internet wie in der traditionellen Wirtschaft ist es so, dass das erste Produkt herzustellen am teuersten ist. Man muss es entwickeln, entwerfen, produzieren, vermarkten. Wenn man jedoch einmal diese Hürde überwunden hat, wird es immer billiger. Das erste Exemplar ist teuer zu produzieren. Jede weitere Kopie davon wird immer billiger. Das war zwar schon immer so, nur im Internet ist dies stark beschleunigt. Denn sobald man das erste, teure Exemplar der Welt über das WWW zur Verfügung stellt, kann es beinahe kostenlos weiter kopiert werden. Anders formuliert: Über den Vertrieb lässt sich nur mehr schwer Geld verdienen. Und der Vertrieb ist nicht mehr in den eigenen Händen, die Verbreitung des Produktes lässt sich nicht mehr kontrollieren.
Gleichzeitig machen mehr Konsumenten das Produkt mehr wert, vor allem aufgrund von Netzwerkeffekten. Ein Facebook-Mitglied bringt noch nicht viel. Wenn ein zweiter dazu kommt, wird das Netzwerk mehr wert auch für das erste Mitglied. Je mehr Mitglieder dazukommen, desto mehr Möglichkeiten bietet Facebook.
Wie kann jetzt ein Unternehmen in diesem Spiel überleben? Erstens, so Kelly, muss es annehmen, dass seine Produkte gratis sind. Wenn die Kosten der Produktion zunächst hoch sind und erst mit der Zeit hinuntergehen, muss man als Unternehmer diese Entwicklung vorwegnehmen und als Ziel annehmen, dass man das Produkt irgendwann einmal gratis hergibt. Da das Internet sowieso eine Kopiermaschine ist, bleibt es nur eine Frage der Zeit, bis einer eine gratis Kopie meines Filmes auf Youtube stellt und damit weltweit verfügbar macht. Google hat mit Google-Books schon angefangen, ganze Bücher ins Netz zu stellen. Sie wenden damit die Regeln an, die in der Internetökonomie herrschen - für die Verlage der alten Welt natürlich eine Katastrophe.
Zweitens geht es um das Thema Auffindbarkeit. Das Internet bietet die ungeheure Möglichkeit, überall auf der Welt auffindbar zu sein. Früher musste man in ein dickes gelbes Buch hineinsehen, um eine Telefonnummer herauszufinden. Dann musste man ein anderes Buch nehmen, um die Adresse auf der Karte zu finden. Dann fuhr man zu einem Ort, wo man einen Spezialisten etwas fragen konnte. Heute gibt man die Frage in eine Suchmaschine ein und bekommt sie in wenigen Sekunden. Wenn man also mit einem Buch eine Frage beantwortet so muss man sicherstellen, dass die Antwort auch gehört, also gefunden werden kann. Und wie stellt man das am besten sicher? Indem man das Buch komplett ins Internet stellt. Indem man es Suchmaschinen zugänglich macht. Indem man den Lesern erlaubt, es weiter zu verbreiten. Wenn mein Buch nicht durch Suchmaschinen gefunden wird, ist es für den Großteil der Menschen nicht einmal existent.
Ein letzter Punkt, ohne alle nennen zu können, ist der Zusatznutzen. Bei vielen gekauften Büchern ärgere ich mich darüber, dass es gleichzeitig keine Version im Internet gibt. Gerade als Wissensarbeiter muss man oft auf einfache Zitate eines Buches schnell zurückgreifen können. Auch ein 1000 Seiten starkes Buch kann, wenn es digital vorliegt, mit dem Kürzel Strg-F in Sekundenbruchteilen durchsucht werden. Digitale Bücher bieten einfach enorme Vorteile gegenüber traditionellen gebundenen. Verlage, die diesen Zusatznutzen nicht anbieten, werden verschwinden.

Wie kann ein Verlag im Zeitalter seiner wirtschaftlichen Zwecklosigkeit noch existieren und welche Taktiken gibt es hier bereits?
Verlage müssen die Vorteile des Internets und obiger Entwicklungen für sich nutzen und gleichzeitig etwas verkaufen, was noch immer knapp ist.
Die richtige Frage stellt der Blogger Jeff Jarvis mit seinem Buch: „Was würde Google tun?“. Hier schreibt Jarvis über die Google-Strategie, auf welcher der Erfolg von Google basiert. Verlage sollten sich auch öfters diese Frage stellen: Was würde Google an ihrer Stelle tun?
Doch Verlage sollten noch weiter gehen: Sie müssen Google zuvorkommen und Bücher sofort komplett und gratis ins Internet stellen. Sie müssen schauen, dass sie ein super Service anbieten, bevor sie sich ans Geldverdienen machen. „Fix your service first!“
Sie müssen sicherstellen, dass diese Bücher gefunden und weiterverbreitet werden.
Sie müssen Communities rund um ihre Bücher schaffen, damit sie vom Netzwerkeffekt profitieren können.
Weitere Taktiken, die sicher auch dem einen oder anderen Verlag helfen könnten nennt der Autor Chris Anderson in seinem Buch „Free - Kostenlos: Geschäftsmodelle für die Herausforderungen des Internets
Verlage müssen einen richtigen Mix zwischen strengem Copyright und völliger Gemeinfreiheit finden. Allzu strenge Copyright-Bestimmungen halten die positiven Kräfte des Internets zu sehr auf und lassen sie nicht für einen wirken.
Weiters müssen sie sich überlegen, was in Verbindung mit ihren Büchern knapp ist, das sie verkaufen können und darauf ein nachhaltiges Geschäftsmodell aufbauen.
Wiederum Kevin Kelly zählt acht Methoden auf: Unmittelbarkeit, Personalisierung, Interpretation, Authentizität, Zugänglichkeit, Verkörperung, Patronage und Auffindbarkeit. Die Liste ist sicherlich unvollständig, kann jedoch schon gute Anstöße in die richtige Richtung geben.

Wie bin ich mit diesen Entwicklungen bisher umgegangen?
Ich persönlich biete auf meiner Homepage an, dass man ein signiertes Exemplar meiner Bücher beziehen kann. Hier wende ich das Authentizitätsprinzip an. Eine persönliche Widmung ist etwas Rares, für das die Leute bereit sind zu zahlen und was zum Beispiel auch ein Geschenk aufwerten kann.
Des Weiteren habe für mein Buch eine Creative-Commons Lizenz gewählt, die es den Nutzern erlaubt, es zu verbreiten, kopieren und auszudrucken, solange sie das Werk nicht verändern, keine kommerzielle Nutzung ausüben und mich als Autor nennen. So kann das Buch im Internet frei zirkulieren. Wenn man es als Hardcopy bereits gekauft hat, hat man trotzdem den Zusatznutzen, dass man es ab jetzt durchsuchen kann.
Außerdem umgehe ich das komplizierte Verlagsnetz, indem ich auf books-on-demand zurückgreife. Hier werden die Bücher fast just-in-time produziert, was es mir möglich macht, auf Auflagen im klassischen Sinn zu verzichten und zum Weg zum Leser nur einen Zischenstopp einzulegen.

Natürlich sage ich nicht, dass diese Methoden der Weisheits letzter Schluss sind. Vermutlich stehen wir erst am Anfang dieser Entwicklungen. Auch ich bin erst am Herumexperimentieren und auf der Suche nach einem tragbaren Geschäftsmodell. Aber eines ist klar: Viele Verlage werden sich warm anziehen müssen, wenn sie diese Entwicklungen nicht mitmachen wollen. Sie sollten nicht die selben Fehler wie die Musikindustrie begehen und damit nur ihrer wirtschaftlichen Zwecklosigkeit entgegenstreben.

Ebenfalls zum Thema: Die Buchhandlung im Zeitalter ihrer wirtschaftlichen Zwecklosigkeit und:
Die Zeitung im Zeitalter ihrer wirtschaftlichen Zwecklosigkeit.

Kommentare

  1. Du schreibst:
    "Google hat mit Google-Books schon angefangen, ganze Bücher ins Netz zu stellen. Sie wenden damit die Regeln an, die in der Internetökonomie herrschen ..."
    Nein. Sie wenden das Raubrittertum, das im Internet herrscht, in der realen Welt an.
    Google hat, m.E. völlig illegal, nur legitimiert durch seine finanzielle Größe, begonnen, geistiges Eigentum realer Bücher zu stehlen und sich zu Nutze zu machen.
    Das ist moralisch extrem verwerflich. Die Geschäftsführer sollen sich wirlich schämen.


    Ansonsten gebe ich Dir recht und ich werde mein neues Buch ebenso im Internet veröffentlichen. Bin schon gespannt.

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  2. Guter Artikel bezüglich des Themas:
    http://sethgodin.typepad.com/seths_blog/2007/03/you_should_writ.html

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